{Play}

Unmaskiertes Beten

In der heutigen Tageslosung geht es um das Beten („Betet allezeit mit allem Bitten und Flehen im Geist“, Eph. 6,18). Dabei kommt mir die viel zu wenig bekannte Dichterin Christine Lavant (1915-1973) in den Sinn. Ihr Leben war von Armut (sie arbeitete als Strickerin) und schwersten seelischen und körperlichen Leiden geprägt.

Lavants Gedichte bilden ein unablässiges Ringen mit Gott. Frömmigkeit liegt dabei völlig fern. In ihre Texte fließen Trauer und Wut, eine tiefe Verzweiflung an Gott, sich selbst und der Gesellschaft ganz unmittelbar ein. Diese souveräne Offenheit gilt manch‘ einem als „Blasphemie“ und „Lästergebet“. Auf mich aber wirkt sie befreiend und wahrhaftig. Hier spricht ein ganzer Mensch, der sich in seiner Not nicht vor Gott verstecken will. In einem bedrückenden Leben hat Lavant alle Angst vor dem (falschen) Wort abgeworfen. Ihr Motto war: „Wer das, was er schreiben muss, zurückhält, ist vielleicht wie ein Weib, das seine Kinder vergräbt aus Angst, sie könnten dem lieben Nachbarn nicht gefallen.“

Wer möchte, kann jetzt für einige Momente dem eigensinnigen Gebet der Christine Lavant lauschen:

Herr, lass mich um Masken beten,
dass die andern mich ertragen,
dass die unentwegten Klagen
nicht aus meinen Augen treten.
Masken, Masken gib mir viele!
Jede kühner als die letzte,
dass ich durch dies ausgesetzte
Leben gehe wie durch Spiele.
Selbst ein Spieler bis zum Letzten!
Mit dem ärmsten, abgehetzten
Wort noch ein Gewolltes wagend;
eine Geste, welche schlagend,
Abwehr einhält, bis zum Rande …
Masken gib mir und Gewande,
welche alles übersteigen,
Tiefes bergen, Flaches zeigen.
Dass die andern mich ertrügen,
gib mir Masken, gib mir Lügen!

(Anne C. Weihe, Lazarus Haus Berlin)

Foto ©Sepp Schmölzer