Lobetaler Wilhelmine Striedieck-Haus feierte Geburtstag
Wilhelmine Striedieck-Haus "Lobetal war meine Lebensaufgabe“
Im großen Halbkreis hatten sich Bewohnerinnen und Bewohner, Angehörige, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Gäste am 18. September im Hof des Hauses Wilhelmine Striedieck versammelt. Ein feierlicher Hauch lag über allem.
Die große Geburtstagstorte stand bereit, Luftballons, Musik, und viele Erinnerungen an die Anfangszeit des Hauses, an Erlebnisse, Feste und Feierlichkeiten und Erinnerungen an Namensgeberin Frau Striedieck selbst wurden vorgetragen.
Unter den Gästen auch die Schwiegertochter Waltraud Striedieck, Witwe des verstorbenen Sohnes Rainer, sowie Sohn Andreas. „Jeder erinnert sich heute an seine Zeit, die er hier im Wilhelmine Striedieck Haus erlebt hat“, sagte Wohnstättenleiterin Susanne Marx und hielt für jeden und jede, die zu den ersten Bewohnern gehören, ein Alpenveilchen bereit. Mit einem herzlichen Willkommen eröffnete Martin Wulff, Geschäftsführer der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, die Jubiläumsfeier 20 plus 1 im Wilhelmine Striedieck-Haus.
Zwei Frauen und 34 Männer, die zuvor in den Häusern Neugnadental, Bucheneck, Ernst-Moritz-Arndt sowie im Jochen- Klepper-Haus untergebracht waren, erhielten im August 2002 ein neues Zuhause in dem Gebäude, das nach Wilhelmine Striedieck benannt wurde. Es wurde u.a. im Beisein von Christa Dorgerloh, der ältesten Tochter und derer Geschwister des Ehepaares Striedieck, eingeweiht und nach der damals gültigen in Kraft getretenen Heimmindestbauverordnung errichtet.
Name würdigt alle Lobetaler Hausmütter
Andrea Braun erinnerte daran, dass es zu jener Zeit noch viele Heime und Wohnstätten gab, deren Zimmer über eine Mehrfachbelegung verfügten und oft keinen Gemeinschaftsraum besaßen. Mit dem Bezug ging eine deutliche Verbesserung der zu betreuenden Menschen mit Hilfebedarf sowie der gesamten Betreuungsstruktur einher, was auch für das Personal einiges an Änderungen mit sich brachte. Aber auch vor allem durch den unterschiedlichen Betreuungsbedarf eine neue Herausforderung darstellte. Das in vier Wohneinrichtungen mit den jeweiligen Betreuungsteams gegliederte Haus bietet je acht zu betreuenden Personen ein Zuhause. Jede Wohngruppe verfügt über einen gemeinschaftlich nutzbaren Wohn,- Ess- und Küchenbereich. Der Betreuungsbedarf gestaltet sich als Tagesbetreuung mit einem nächtlichen Bereitschaftsdienst. Mit Wilhelmine Striedieck gibt es erstmals eine Frau als Namensträgerin für eine Wohnstätte in Lobtal. „Es war auch eine Würdigung aller Hausmütter in Lobetaler Einrichtungen“, betonte Andrea Braun.
Wilhelmine Striedieck (geb. Kamp) wurde 1908 in Bielefeld geboren und verstarb am 17. November 2001 im Alter von 92 Jahren in Lobetal. Sie hat ein arbeitsreiches Leben geführt, das geprägt war von großem Engagement für all, besonders aber hilfebedürftige Menschen. Durch ihr Elternhaus in Bielefeld hatte sich für Wilhelmine Kamp schon in jungen Jahren eine prägende Verbindung mit der christlichen Jugendbewegung ergeben. Sie begann als Sekretärin in der Kanzlei Bethel im Büro von Pastor Gerhard Stratenwerth, der den freiwilligen Arbeitsdienst organisierte. Dort übernahm sie die Aufgabe seiner umfangreichen Korrespondenz. Und hier lernte sie auch den jungen Diakon Richard Striedieck kennen. Nach Absolvierung des damals verpflichtenden Brautkurses schlossen beide am 26. Oktober 1934 die Ehe. Damit wurde das Paar für einen gemeinsamen Dienst als Hauseltern in das heutige Heim „Alt-Lobetal“ durch die Bruderschaft Nazareth entsandt. Sie wohnten im Saal Alt-Lobetal und schenkten insgesamt fünf Kindern das Leben.
Schwere Nachkriegszeit
Die neue Aufgabe war für Wilhelmine Striedieck eine große Herausforderung, denn ihr als Hausmutter oblag nun die Aufgabe, die tägliche Verpflegung von circa 300 Bewohnern zu organisieren. Es waren die so genannten „Brüder der Landstraße“, Obdachlose, Menschen, die, aus der Bahn geworfen, hier ein neues Zuhause gefunden hatten, und Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Der landwirtschaftliche Betrieb Lobetals sowie die Gärtnerei und Plantagen lieferten dabei die Lebensmittel, die verarbeitet werden mussten. Hinzu kam die Kalkulation der Vorräte, es wurde geerntet, eingekocht und auch geschlachtet. Milch wurde jeden Morgen zudem an Lobetaler Familien verteilt, die Glocke vom Turm des ehemaligen Kirchleins läutete zu den Mahlzeiten. Und es galt auch, das dazugehörige Personal zu leiten und anzuleiten. Schwere Zeiten kamen 1945 nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf alle zu, als es kaum etwas zu essen gab, Hunger, Krankheit und Sterben und viele Flüchtlingsfamilien, den Alltag prägten.
Hausmütter wie Wilhelmine Striedieck standen dem Hausvater, der für alle Wohnstätten im Ortskern Lobetal verantwortlich war, zur Seite und waren nicht nur für die Versorgung der Bewohner und deren Beköstigung zuständig, sondern auch für alle persönlichen Dinge, die die Menschen beschäftigten. Sie hatten stets auch dafür ein offenes Ohr, standen mit Rat und Tat zur Seite und hatten immer ein gutes Wort parat.
Als Richard Striedieck 1958 in die Anstaltsleitung berufen wurde, verlor seine Frau die Funktion als Hausmutter. Doch sie blieb ihrer Rolle treu. So ist sie noch bis ins hohe Alter gemeinsam mit ihrer ebenfalls betagten Kollegin und Hausmutter, Frau Wacker, in Lobetal seelsorgerisch tätig gewesen. Obwohl die Stiftung Nazareth die Familie zweimal zurück nach Bethel berief, blieben die Striediecks in Lobetal. „Lobetal war meine Lebensaufgabe, in die mich Gott gestellt hat“, hatte Wilhelmine Striedieck einst gesagt und danach bis zuletzt gelebt.
Renate Meliß, 2. Oktober 2023