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Kreativ den Kiez erobert: Ausstellung „Wir im Kiez“ eröffnet

Frankfurter Tor, Warschauer Straße, Oberbaumbrücke – diese und viele andere markante Punkte in „ihrem“ Friedrichshainer Kiez waren ein ganzes Jahr lang künstlerischer Gegenstand von knapp zwei Dutzend Frauen und Männern, die den Beschäftigungs- und Förderbereich der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal in der Warschauer Straße besuchen.

Im Jahr 2017 zog die Einrichtung mit damaligem Namen Haus Birkenhain von Charlottenburg nach Friedrichshain und heißt seitdem „Warschauer Höfe inklusiv“. In den vergangenen 5 Jahren gab es immer wieder neue Gelegenheiten, sich im stetig verändernden Kiez einzugewöhnen. „Wir sind gut angekommen. Diesmal erobern wir uns den Kiez künstlerisch“, sagt Maria Feske, Leiterin des Beschäftigungs- und Förderbereichs, zur Idee der künstlerischen Kiezeroberung. Am 22. Oktober wurden die entstandenen Werke der Öffentlichkeit vorgestellt und die Ausstellung „Wir im Kiez“ eröffnet.

Bunte Mischung von Kreativen

In der Galerie der „Kulturschöpfer e.V.“ in der Grünberger Straße 13 kann man bis zum Ende der ersten Novemberwoche sehen, wie die knapp zwei Dutzend künstlerisch Kreativen ihr Umfeld sehen oder wie sie es sich gerne vorstellen. Kunsttherapeutin Marie Roick, die das Projekt leitete, freut sich über die bunte Mischung der Teilnehmenden. Es war eine typisch Berliner Kiezmischung bestehend aus Männer und Frauen im Alter von 22 bis 75 Lebensjahren, Urberliner und Menschen mit Migrationshintergrund der ersten oder zweiten Generation.

Neben vielgestaltigen wie eigenwilligen Kunstwerken sind im letzten Jahr vor allem auch neue Beziehungen der Klientinnen und Klienten des Beschäftigungs- und Förderbereichs zueinander und zu ihrer Nachbarschaft entstanden. Die beiden Fachfrauen unterstreichen im Gespräch zur Vernissage, dass diese Menschen, die im Rahmen des Beschäftigungs- und Förderbereiches am Arbeitsleben teilhaben, hier einen großen Schritt in Richtung Teamfähigkeit und Kommunikation gegangen sind. „Das ging soweit, dass viele kurz vor der Ausstellungseröffnung ganz genau wussten, wo sie unsere Flyer verteilen möchten, und mit wem.“ Manch zufällig bei den Kiezrunden getroffener Müll- oder Feuerwehrmann musste sich schon mal Zeit nehmen, um die Lebensgeschichte der Kreativen anzuhören, erinnert sich Marie Roick.

Bandbreite von Ideen

Das Projekt begann mit einer Fototour. Dabei entstanden in den vergangenen zwölf Monaten ganz verschiedene Kunstwerke. Das umfangreichste und flächengrößte fasst als „Frankfurter Tor Serie“ Variationen des von der Gruppe gewählten „Lieblingsfotos“ von den Gebäuden am Frankfurter Tor zusammen. Egal, ob man den Stalinbauten bunte Flugobjekte an die Seite stellte, farblich fein ziseliert Details nacharbeitete, mit grobem Strich auf dem Bauwerk nachbesserte oder ihm verschiedene Regenbogentöne anzog – immer ist die kreative Kraft und die riesige Bandbreite der Ideen spürbar. „Und die Offenheit, sich im Laufe der Zeit künstlerisch einzubringen, ist wirklich im Laufe der Monate sehr gewachsen“, berichtet Kunsttherapeutin Marie Roick.

Überaus liebenswürdig sind auch die „Roboter“ und „Roboterfotos“ genannten Objekte, bei denen ein aus Holz- und Metallfundstücken entstandenes Maschinenwesen mit einem Auge und einem Fuß trotz seiner Handicaps – oder vielleicht gerade deswegen – auf Kieztour geschickt wurde, vor dem ehemaligen Kino „Kosmos“ oder anderen Friedrichshainer Gebäuden in unterschiedlichen Hintergrund-Schärfegraden posierend.


Berliner Wahrzeichen

Was zum Kiez gehört und was dessen Grenzen sind – da waren die Künstlerinnen und Künstler übrigens sehr großzügig. In der „Gelben Serie“ sind mit Edding auf Leinwand unter anderem auch das Brandenburger Tor und die Weltzeituhr dargestellt. Und den Fernsehturm vom Alexanderplatz gibt es sogar in einer gefilzten Variante: trotz des weichen Materials standfest und darüber hinaus strahlend bunt wie zu Zeiten von „Berlin Lights“ – nur stromsparender.

Kiezkarte zeigt Wunsch nach mehr Natur

Die Umwelt erfahren, kreativ mit ihrem Ist-Zustand umgehen und ohne Scheu in ihre Zukunft zu blicken – das zeigt sich bei der rund ein mal zwei Meter großen Kiezkarte, die die für die Bewohner wichtigen Orte ebenso zeigt wie den Wunsch nach mehr Grün zu Wasser und zu Lande. Herr Rüscher hat gemeinsam mit Herrn Ruda ein weiteres seiner einzigartigen Werke geschaffen. Für Raphael Rüscher war das aus tausenden Minimotiven in monatelanger Kleinarbeit erstellte Werk das erste selbstgemalte Bild. „Das wollte ich so gut wie nur möglich gestalten“, erinnert er sich stolz.

Ebenso stolz hatte er unter Anleitung von Musiktherapeutin Gottlobe Gebauer mit mehreren seiner Künstlerkolleginnen und -kollegen zum Ende der Vernissage am 22. Oktober zu Gitarre, Xylophon, Trommel und anderen Schlaginstrumenten gegriffen, um den Rundgang durch die Exposition zu vertonen.

Und damit auch diejenigen, die die in acht verschiedene Kunstwerkgruppen gegliederte Ausstellung während der beiden Herbstwochen nicht sehen konnten, diese bewundern können, gibt es feste Planungen, den Objekten dauerhafte Ausstellungsorte in den verschiedensten Räumen der Stiftung zuzuordnen.

So geht Inklusion

Bleibt die Frage, wie die erste Ausstellung von „Wir im Kiez“ gerade in die eigentlich gut ausgelasteten Galerieräume der „Kulturschöpfer e.V“ im Szenekiez kam. Die Antwort ist einfach: Man hatte sich beim Kiezspaziergang auf Kreativ-Tour kennengelernt. Christopher Elmerick von den Kulturschöpfern unterstrich auf der Vernissage das große Interesse des Vereins an der Sichtweise von Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigungen auf ihren Kiez. So wurde das Ausstellungsprojekt aus dem Wunsch geboren, nachbarschaftlich zusammenzuarbeiten. So geht Inklusion. Kunst macht’s möglich.

Andreas Gerlof

27.10.2022