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Marco Krille: Geschafft!

Dass Marco Krille vor mir sitzt, ist nicht selbstverständlich. Er hat es geschafft. Er hat das Destruktive in seinem Leben überwunden. Es ist ein Wunder, das viele ermöglicht haben.

Marco Krille ist 32 Jahre alt, in Berlin- Buch geboren, hat die meiste und vor allem die entscheidende Zeit seines Lebens in Berlin-Lichtenberg verbracht. Sein Leben hat ihn in viele Städte Deutschlands gebracht: Frankfurt am Main, Mannheim, Hamburg, Schwerin. Jobs und Ausbildung waren der Grund. Auch eine Episode als Deutschrapper war dabei. Zweimal probierte er es als Koch, zweimal in der Gastronomie als Servicekraft. „Viel begonnen, nichts zu Ende gebracht damals“, wie er selbst von sich erzählt. Schließlich verdiente er seine Brötchen im Sicherheitsdienst. Auch da blieb es nicht nur bei einem. So ging das lange. Doch das hat sich in den letzten Jahren von Grund auf geändert. Er hat seit Juli 2022 den Abschluss zum Kaufmann für Büromanagement in den Händen, die Zertifizierung zum IMPULS – COACH und bald wird er Genesungsbegleiter sein.  Vor 10 Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Die Mauer ist eingestürzt

Rückblick: 2008 schaffte er mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss. 2012 verlor er seinen Vater durch einen Suizid. Eine Welt brach für ihn zusammen.  Auf dem Zettel, den er zum Abschied im Briefkasten mit seiner Halskette fand, stand: „Für Marco, ich liebe Dich! Papa.“ „Mein Vater hat an mich geglaubt.“ Das gab ihm Kraft. „Mein Vater sagte immer: Du schaffst das!“ Doch dann schaffte es sein Vater selbst nicht mehr. Marco Krille verlor die Orientierung, taumelte durch die Tage. Eine psychotherapeutische Behandlung brach er ab. Er war noch nicht so weit.

Fünf Jahre lebte er immer kurz vor dem Absturz. Er versuchte sich zu schützen. Baute eine Mauer, war nach außen stark, ließ Niemanden an sich ran. Aber im Inneren war er ein Wrack. „Ich war völlig kaputt“, sagt er. Das funktionierte bis 2019. „Dann ist die Mauer eingestürzt. Ich wollte alles beenden.“ Er spürte: „Wenn Du jetzt nichts änderst, dann…“

Marco Krille sagt: „Ich möchte für andere da sein, ein Vorbild, ein Leuchtturm, ein Experte aus Erfahrung.“ Er hat eine Menge weiterzugeben.

Es war das Beste, was mir passieren konnte

Immerhin hatte er noch die Kraft, sich Hilfe zu holen. Er rief an bei der Kassenärztlichen Vereinigung, um einen Psychologen zu finden. Einen Hilferuf, den er mehrmals absetzte. Schließlich wurde Marco Krille fündig. Der Psychologe hat verstanden, was los war. „Sie müssen schleunigst in die Klinik und meinte damit das Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge.“ Heute sagt Krille: „Es war das Beste, was mir passieren konnte.“

Gesprächstherapie, Sport, Yoga, Kunsttherapie, Entspannung war ab sofort sein Tagesprogramm. Sieben Wochen blieb er in der Klinik. Viel Zeit, um nachzudenken. „Ich habe verstanden, warum ich so bin, wie ich bin. Seine Mutter trank Alkohol, auch während der Schwangerschaft. Dass er überhaupt geboren wurde, hatte er seinem Vater zu verdanken.“

Nach der Klinik wurde Marco Krille durch die GPVA (Gemeindepsychiatrischer Verbund und Arbeitsprojekte) der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal unterstützt. „Nach dem Krankenhausaufenthalt musste ich lernen, mein Leben neu zu organisieren. Es gab so viele Dinge, die zu klären waren: Finanzen, berufliche Perspektiven und administrative Angelegenheiten z.B. bei Ämtern.“ Überhaupt war es wichtig, den Tag zu gestalten und zu strukturieren. Für alle diese Themen erhielt er Unterstützung durch die GPVA. „Ich war froh, dass sich der Sozialdienst der Klinik darum kümmerte, dass ich direkt nach der Entlassung bei der GPVA angebunden wurde.“ Anfangs hatte er noch Zweifel und Sorge, dass ihm vorgeschrieben wird, was er zu tun oder zu lassen habe. Dies änderte sich allerdings schnell.  Er merkte, dass ihm auf Augenhöhe begegnet wurde und Entscheidungen, z.B. welche Ziele gemeinsam verfolgt werden sollen, nicht über seinen Kopf hinweg getroffen wurden.

Schritte ins Leben

Die ärztliche Behandlung wurde nach der Klinikentlassung von der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) übernommen. Marco Krille nahm dort regelmäßige Termine bei seiner zuständigen Psychologin sowie seinem Psychiater wahr. „Nach anfänglicher längerer Skepsis entschied ich mich, es zusätzlich mit einer medikamentösen Behandlung zu versuchen“. Dies alles führt zunächst zu einer Stabilisierung. Nun war auch wieder die Kraft da, nach vorne zu schauen. Er begann die Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement. Aber er lebte auf dünnem Eis. Das Destruktive holte ihn wieder ein, Gedanken und Gefühle, die ihn zerstören wollten, wurden erneut seine Begleiter. Er streunte nachts durch die Stadt, hielt Ausschau nach Hochhäusern. In welche konnte man gut einsteigen? Wie hoch waren sie?

Sie ist das internationale Symbol für eine Gesellschaft, die offen und tolerant mit psychischen Erkrankungen umgeht. Seelische Leiden betreffen uns alle und dürfen kein Tabuthema mehr sein: Fast jeder Dritte erkrankt in Deutschland im Zeitraum eines Jahres an einer psychischen Erkrankung. Aus diesem Grund hat das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit die Aktion Grüne Schleife ins Leben gerufen. Jeder, der die Grüne Schleife trägt, setzt ein Zeichen für Akzeptanz und gegen Ausgrenzung.

Den tiefsten Punkt überwunden

In diese Zeit fiel ein Gespräch mit seinem Bezugsbetreuer Simon Oppel. Marco Krille erinnert sich noch sehr genau an den Tag, an dem es stattfand. „Alles OK bei Ihnen?“ „Ja klar, alles OK. Was soll schon sein?“ Aber nichts war OK. Er stand wieder am Abgrund. „Herr Oppel spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.“ Er hakte nach, ließ nicht locker. Schließlich erzählte Herr Krille, was los ist. Dann gab es nicht mehr viel zu reden. Herr Oppel brachte ihn sofort in die Notaufnahme des KEH und blieb bis Marco Krille sicher versorgt war. „Alleine hätte ich es diesmal nicht geschafft. Diese Zeit war der tiefste Punkt meines Lebens, der tiefste Punkt nach dem Tod meines Vaters“, blickt Krille zurück. 

Für Simon Oppel war dieser Tag ebenfalls einschneidend und prägend. „Ich habe viel über dieses Ereignis nachgedacht. Ich kann heute nicht mehr genau sagen, wie es uns gelungen ist, diese Krise zu überstehen. Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass es letztlich das Ergebnis der gemeinsamen Beziehungsarbeit war.“ Damit nimmt er Bezug auf das Bezugsbetreuungssystem in der GPVA. Das bedeutet, dass jeder Klient zwei Mitarbeitende an die Hand bekommt, die hauptsächlich für ihn verantwortlich sind. Einer der wichtigsten Aspekte der Bezugsbetreuer ist, eine professionelle Beziehung zum Klienten aufzubauen, die auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basieren. „Ich denke, es war dieses aufgebaute Vertrauen, dass es Herrn Krille ermöglichte, sich mir gegenüber zu öffnen und er auch bereit war, die nun notwendigen Schritte zu gehen.“

Marco Krille absolvierte erneut das volle Programm in der Klinik, und doch war es anders als beim ersten Mal. Er hat noch besser verstanden, dass er es schaffen und vor allem, dass er auch anderen helfen kann. Eine Begegnung ging ihm nicht mehr aus dem Sinn, dieser Mann, den er traf, der wie sein Vater keinen Sinn mehr in seinem Leben sah. „Weißt Du, was das für Deine Kinder bedeutet? Weißt Du das?“, fragte er.  „Ich habe das erlebt.“ Das genügte, um seinen Mitpatienten zum Nachdenken zu bringen.“ Marco Krille sagt: „Ich habe in diesem Moment verstanden: Worte können Dinge von Grund auf und für immer verändern, insbesondere, wenn sie von jemanden kommen, der aus Erfahrung spricht.“ In dieser Zeit hörte er auch das erste Mal von dem Konzept eines Genesungsbegleiters. In ihm reifte der Wunsch, anderen zu helfen. Doch zunächst ging es darum, die Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement zu beenden. Das war schwer genug. „Man solle ja nicht glauben, dass das ein Spaziergang war.“ Mehr als einmal wollte er hinschmeißen. Doch auch hier wurde Herr Krille durch die Mitarbeitenden der GPVA stabilisiert und motiviert, durchzuhalten. Nach Beendigung seiner Ausbildung erfüllte er sich nun endlich seinen Wunsch, die Weiterbildung zum Genesungsbegleiter zu beginnen. Diese wird er in diesem Jahr abschließen.

Für Marco Krille ist seine Oma die wichtigste Frau in seinem Leben.

Hilfe erfahren – Hilfe weitergeben

„Ich möchte für andere da sein, ein Vorbild, ein Leuchtturm, ein Experte aus Erfahrung.“ Marco Krille hat eine Menge weiterzugeben. Und er hat eine Vision: „Menschen mit psychischer Erkrankung, Menschen wie ich, sind Teil der Gesellschaft. Sie brauchen Vertrauen und Akzeptanz.“ Er möchte deshalb mit seiner Erfahrung und seinem Wissen, sich für die Entstigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen einsetzen. „Ich möchte davon berichten, dass Menschen wie ich es schaffen können.“ Das ist der Grund, weshalb er offensiv mit seiner Krankheit umgeht. Er spricht darüber auch in den sozialen Netzwerken wie Instagram. „Ich erhalte viele positive Rückmeldungen, habe viele Follower, Menschen, die mich bestärken.“

Er zeigt auf seinen Pullover. Das Herz und das Gehirn sind mit der grünen Schleife verbunden. Die grüne Schleife ist das offizielle Zeichen gegen die Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Es braucht Herz und Hirn, und es braucht die Hoffnung und die Zuversicht, die beides zusammenhält. „Wenn Herz und Hirn zusammengehalten werden, ist alles im grünen Bereich. Dann ist alles in Ordnung. Dann ist die Seele stark. Und solch ein Seelenstärker möchte er für andere sein.

Wenn Oma nicht gewesen wäre...

Für ihn ist seine Oma, die Mutter seines Vaters, sein Seelenstärker. Auf dem Foto ist er zu sehen an ihrem 80. Geburtstag. „Omi ist die die wichtigste Frau in meinem Leben.“ Er wohnte bei ihr in der schwierigsten Zeit seines Lebens. „Erst im Nachhinein habe ich verstanden, was ich ihr alles angetan habe. Sie hat meine Launen ausgehalten, meine Sprunghaftigkeit, mein emotionales Chaos. Sie hat viel Leid mit mir gehabt.“ Sie hat nie gefragt. Er war immer willkommen. Sie ließ ihn so wie er war, hat ihm immer unterstützt, ihn akzeptiert so, wie er war. „Ich habe ihr so unendlich viel zu verdanken.“ Ganz bestimmt war es auch ihr guter Geist, der ihn begleitet hat, damit es gutes Ende nimmt. „Danke liebe Omi.“

Wolfgang Kern